Inside YouTube – Hard Disk Teardown

Woher kommen all die Filme, die uns YouTube jeden Tag offeriert? Aus dem «Internet», klar. Aber steckt das alles in den Leitungen und warten darauf abgespielt zu werden? Natürlich nicht – die Filme sind irgendwo gespeichert und werden dann von dort «abgespielt», wie früher (die Eltern erinnern sich vielleicht noch) vom Videorekorder.

Fotografie einer 3.5" Festplatte. Alt, aber noch funktionsfähig. Kurz vor dem Zerlegen oder Tear Down.
Eine Festplatte aus dem Jahr 2000

Bei YouTube gibt es zwar keine Videorekorder, aber die nun digitalen Filme sind ebenfalls magnetisch abgelegt; allerdings nicht auf Bändern, sondern auf Platten. Das technische Wunderwerk dahinter ist die gute alte Festplatte. Mit dem technischen Fortschritt sind Festplatten aber aus unserem unmittelbaren Alltag verschwunden: Im Innern unserer Smartphones, Tablets und PCs werkelt heute üblicherweise eine Solid-State-Disk, kurz SSD – eine Festplatte ohne Platte. Im «Internet» ist das ganz anderes: Die meisten Daten sind nach wie vor auf Festplatten gespeichert – das ist kostengünstiger so.    

Der technische Fortschritt beschert uns immer neuere und noch bessere Helferlein und Gadgets aber auch einen endlosen Strom an Elektronikschrott. Zum Glück kann man seinem Umweltgewissen noch Gutes tun und den Schrott im Rahmen eines Tear-downs noch ein letztes Mal nutzen. Heute muss eine 120 GB Festplatte Baujahr 2000 dran glauben – los geht’s!

Fotografie einer 3.5" Festplatte. Noch funktionsfähig. Wir beginnen mit dem Zerlegen indem wir die Elektronik vorsichtig entfernen.
Wir beginnen mit der Elektronik

Kinder lieben es Pakete auszupacken (Aufräumen geht dann weniger gut) – der Postbote ist ihr bester Freund und Online Shopping sorgt für andauernde Weihnachtsstimmung. Besonders beliebt ist das Auspacken von technischem Spielzeug – das Ritual wird den Kids ja auch in zahllosen «Unboxing»-Videos auf YouTube vorgelebt. Da erzähle ich wohl niemandem etwas Neues.

Das Aufschrauben beginnt

Weniger bekannt dürfte sein, dass Kinder elektronische Geräte nicht nur gerne auspacken, sondern auch äusserst gerne aufschrauben und zerlegen. Dabei lässt sich allerlei erleben und lernen. Bei unserer Festplatte entscheiden wir uns mit der Elektronik auf der Unterseite anzufangen. 

Fotografie einer 3.5" Festplatte. Die Elektronik ist nun entfernt.
Noch sind keine Platten zu sehen

Die gesamte Elektronik befindet sich auf der grünen Leiterplatte und leistet bei der Demontage den Kinderhänden und dem Schraubenzieher wenig Widerstand. Die Elektronik steuert die Festplatte, liest und schreibt die Daten auf die Magnetplatten und quasselt mit dem PC – aber was ist was? Hier können junge Detektive mit der Lupe (und Google) suchen und fündig werden – interessant sind die drei grossen schwarzen Käfer, denn die machen praktisch alles: Der ganz grosse (rechts im Bild) ist der Kontroller, also der «Minicomputer», der die Festplatte steuert. In der Mitte finden wir einen Zwischenspeicher (RAM) und schliesslich links einen Motorenkontroller.

Ausschnitt aus dem Datenblatt des Motor Controller Chips der Festplatte.
Ein L7250 Chip steuert die beiden Motoren. Quelle: Datenblatt STMicroelectronics

Das (47-seitige) Datenblatt im Internet verrät uns, dass dieser sowohl den Plattenmotor wie auch den Motor des Schreib-Lese-Kopf Arms steuert – doch dazu später mehr. Die Unterseite der Festplatte erweist sich allerdings als Sackgasse: Hier können wir nicht ins Innere des massiven Metallblocks vordringen. Also versuchen wir die Oberseite und lösen wieder mit viel Enthusiasmus zahlreiche sichtbaren Schrauben. Alle Schrauben sind nun gelöst – aber!

Fotografie der 3.5" Festplatte während des Tear Downs. Fast alle Schrauben sind nun entfernt. Ein Spass für Kinder mit Freunde am Schrauben.
Alle Schrauben gelöst – oder doch nicht?

Das widerspenstige Ding geht trotzdem nicht auf und einmal mehr ist Detektivarbeit angesagt; schlussendlich finden wir unter einer unscheinbaren Abdeckung eine versteckte Schraube. Auch dieses Rätsel ist gelöst – Sesam, öffne dich! Der Fachmann empfiehlt dabei eine Schutzbrille zu tragen, da früher bei einigen Fabrikaten Platten aus Glas zum Einsatz kamen und diese bei Druck unter Umständen zerspringen können.

Fotografie der geöffneten 3.5" Festplatte. Der Blick auf die Platten und diese Lese- und Schreibköpfe ist nun frei.
Ein Plattenspieler im Taschenformat?

Wir sehen silberne Scheiben, ein filigranes, seltsames Metallteil, das irgendwie beweglich ist und in den Plattenstapel hineinragt, ein bisschen Blech und eine Art Kabel. Bilder und Filme sehen wir keine – auch keine ganz kleinen. Doch was sehen wir? Und wie funktioniert eine Festplatte?

Testfahrt mit offener Motorhaube

Im Prinzip ganz einfach und im Prinzip sehr ähnlich wie ein Plattenspieler– leider ist das heute den Kindern schwer zu erklären, haben doch die meisten ein solches Gerät noch nie von Nahe gesehen, geschweige denn benutzt. Also nutzen wir die «Kindermethode» um Dinge zu verstehen: Einschalten und schauen was passiert.

Unsere geöffnete Festplatte im Betrieb – Aber nicht nachmachen Kids!

Dazu packen wir unser Schätzchen in ein externes Gehäuse und schalten ein (ja, die Elektronik müssen wir auch nochmals anschrauben). Und tatsächlich: Wir haben einen Plattenspieler vor uns! Einen seltsamen allerdings. Die Platten drehen sich zwar, aber nicht mit 33⅓ Umdrehungen pro Minute, sondern mit 5400. Auch der «Tonarm» bewegt sich – mit «wahnsinniger Geschwindigkeit». Unsere Bilder und Filme sind in unsichtbaren konzentrischen Kreisen magnetisch auf den Platten aufgezeichnet und werden von winzigen Köpfen am Ende des «Tonarms» geschrieben und gelesen – so wie die Nadel am Tonabnehmer die Rillen der Schallplatte abtastet. Auch das geht schnell, denn sind es bei der Schallplatte bis zu 20’000 Schwingungen pro Sekunde, so kommt unsere Festplatte auf gut 100 Millionen.

Zerlegen bis zum Ende

Nun gibt es keinen Weg mehr zurück: Durch das Öffnen kränkelt die Festplatte nun – der Datentod steht kurz bevor. Das sterile Innere des technischen Wunderwerks und die fummelige Sezierarbeit lassen Chirurgie-Feeling aufkommen – vielleicht wollen die enthusiastischen Schrauber später eher in der Medizin tätig werden und nicht in der Technik.

Fotografie der 3.5" Festplatte mit geöffnetem Deckel. Wir zerlegen als nächstes den Arm mit den Köpfen und den Antrieb.
Wir zerlegen den Schreib-Lese-Kopf Arm mitsamt Motor

Wir gehen jetzt aber noch einen Schritt weiter und machen uns mit dem Schraubenzieher am Motor des Schreib-Lese-Kopf Arms zu schaffen. Den Arm aus dem Gehäuse herauszubekommen verlangt den jungen Bastlern einiges an Scharfsinn und Geschick ab – aber es gelingt.

Fotografie des Arms mit den Lese- und Schreibköpfen der 3.5" Festplatte.
Schreib-Lese-Köpfe Arm mit Voice-Coil-Motor

Als besondere Herausforderung entpuppt sich der eigentliche Motor am hinteren Ende des Arms: Starke Permanentmagnete scheinen den Schraubenzieher zu bekämpfen und ihn davon abhalten zu wollen irgendetwas aufzuschrauben. Wir kämpfen tapfer und gewinnen! Schlussendlich liegt der zerlegte Motor dann vor uns: Zum einen der obere und untere Magnet, zum anderen der Arm mit der eingebetteten goldfarbenen Spule.

Linearmotor

Dieser Motor ist ein Linearmotor, d.h. hier dreht sich nichts, sondern verschiebt sich ein Teil des Motors – und damit wird der Arm bewegt. Das Prinzip hinter dem Motor ist immer dasselbe: Ein stromdurchflossener Leiter erfährt in einem Magnetfeld eine Kraft, die Lorentzkraft, und mit der kann man etwas antreiben. Einige erinnern sich vielleicht noch an die Rechte-Hand-Regel aus dem Physikunterricht – die sagt uns in welche Richtung die Kraft schlussendlich wirkt (Vorsicht ihr Linkshänder, das geht nur rechts!). Ein Lautsprecher funktioniert übrigens praktisch gleich – von dort kommt auch die Bezeichnungen Voice-Coil-Motor

Fotografie der komplett zerlegten 3.5" Festplatte. Die einzelnen Platten sind nun sichtbar.
Das Ende naht: Die erste Platte ist draussen

Den Arm mit Motor, Köpfe und Stecker haben wir nun entfernt. Bleibt noch das grosse Finale, die Magnetplatten – zwei in unserem Fall. Beim Zerlegen des Plattenstapels fällt die unglaubliche Präzision aller Teile auf – «passt, wackelt und hat Luft» ist das nicht. Kein Wunder, denn heutige Festplatten haben mehrere tausend Spuren (in konzentrischen Kreisen) pro Millimeter; um die mit den Köpfen zu treffen, muss alles genau stimmen.

Nach einer knappen Stunde sind wir am Ende mit unserer kleinen Entdeckungsreise. Es bleiben viele Einzelteile und etwas Wehmut, dass all diese wunderschönen Komponenten nun endgültig Elektroschrott sind.

Fazit

Wenn man eine Festplatte aufschraubt, geht sie kaputt – ein bisschen lesen und schreiben ging dann allerdings doch noch. Wir haben einmal mehr festgestellt, dass Aufschrauben und Zerlegen von Geräten bei den Kindern ganz oben auf der Hitliste rangiert. Da trifft es sich auch besonders gut, dass beim Geräte-Sezieren das mühsame und etwas unbeliebte Zusammenbauen und Aufräumen entfällt. Diagnose: Preis-Leistungs-Verhältnis dieser Aktivität ist sehr gut und der alte Computerschrott erfüllte nochmals eine letzte Aufgabe. So nebenbei sind unsere privaten Daten der alten Festplatte nun definitiv nicht mehr lesbar – was andernfalls damit alles geschehen kann, liest man ja hin und wieder in der Zeitung …

Und jetzt?

Das Haus nach altem Elektroschrott durchkämmen und diesen zerlegen.

Sehen, wo und wie YouTube-Filme auf vielen(!) Festplatten gespeichert sind:

Verstehen, wie eine Festplatte funktioniert (auf Englisch):